Am Montag hat der Kamerahersteller Sigma eine neue Kamera vorgestellt, die Sigma BF. Eine super minimalistische Kamera, wie sie Ex-Chefdesigner von Apple Jony Ive nicht besser hätte gestalten können. Gefertigt aus einem einzigen Block Aluminium, nur ein USB-C-Anschluss, vier Buttons auf der Rückseite. That’s it.
Steril? Unbenutzbar? Oder einfach nur minimalistisch und reduziert aufs Wesentliche?

Fashion vs. Werkzeug
Welche Zielgruppe diese Kamera bedient ist eine Frage der Perspektive. Für die Einen ist sie ein wunderschön gestaltetes Objekt, das (zufällig) Fotos macht: „Fashion“. Für die Anderen ist sie eine innovative Kamera, die (auch noch) schön anzusehen ist: Werkzeug.
Ich selber schreibe mich der zweiten Gruppe zu. Für mich ist jede Kamera ein Werkzeug. Und um ehrlich zu sein: Ich finde sie am schönsten, wenn sie auch danach aussieht: benutzt, verkratzt, staubig.
Kameras sind für Erlebnisse gemacht. Wer Dinge erlebt, bekommt Schrammen und manchmal Narben. Das ist genau das was den Gegenstand „schön“ macht: eine Patina.
Die einzigartige Patina
Patina bezeichnet die visuelle Veränderung eines Gegenstands über die Zeit. Bronzefarbene Uhren oxidieren und verändern ihre Farbe, Leder wird dunkler, Kameras kriegen Kratzer. Die Patina ist die manifestierte Erfahrung des Gegenstands mit seinem Besitzer oder seiner Besitzerin.
Eine Patina ist immer einzigartig und irreversibel.
Patina als Conversation-Starter?
Dabei kann eine Patina auf eine Marke und ihre Produkte große Auswirkungen haben. Beispiel: Rimowa.
Der Kofferhersteller ist berühmt für seinen Alu-Koffer „Topas“. Ursprünglich als Überseekoffer für Tropenreisen konzipiert (Aluminium wird von Luftfeuchtigkeit, Temperaturschwankungen und Wasser nicht beeinflusst), ist er nun Reisewerkzeug und Luxusobjekt. Werkzeug vs. Fashion eben.
Dabei ist der „Topas“ das beste Beispiel dafür, welche Auswirkungen eine Patina nicht nur auf das Produkt, sondern auch auf den Eindruck des Besitzers haben kann.
Mit welchem Kofferinhaber oder Kofferinhaberin würdest Du an der Hotelbar eher übers Reisen ins Gespräch kommen wollen?

Damit wirbt Rimowa sogar auf seiner Webseite: Engineered for Life. Dort ist in einem Clip zu sehen, wie ein Mitarbeiter einen Topas-Koffer repariert ohne die Patina, die vielen Sticker, zu beschädigen. Denn er weiß, dass der Kofferinhaber die Patina mit vielen Erfahrungen und Erlebnissen verbindet.
Patina als (personal) Branding.
Bloß keine Patina!
Wenn aber eine Patina so viel Charakter erzeugen kann, so viel Erfahrung ausdrückt, warum ist sie dann an vielen Stellen so… unbeliebt?
Unser Smartphone ersetzen wir alle paar Jahre. Aber auch dann packen wir es direkt in eine Hülle, sodass es auf keinen Fall mit der Außenwelt in Berührung kommt.
Unsere digitalen Produkte entwickeln keine Patina. Sie sehen plötzlich einfach nur veraltet aus, wenn Apple oder Microsoft im großen Stil die Designsprache wechselt. Oder es kommt gar nicht erst zu einer digitalen Patina, weil sich ständig das Design ändert, bevor es wirklich „altern“ könnte. Das hat besonders in der User Experience Auswirkungen, wenn die Nutzer:innen in ständigen Interface-Überarbeitungen ihre meistgenutzten Funktionen suchen (I’m looking at you, Jira! Oder auch auf dich, Apple Photos).
Die Tatsache, dass digitale Produkte keine Patina entwickeln, macht sie… steril. Ich glaube das ist einer der Gründe warum unperfekte, haptische Dinge, wie die analoge Fotografie oder einfache Point-and-Shoot-Kameras der 2000er bei der sehr digital aufgewachsenen Gen Z wieder so beliebt sind. Hier gibt es eine User Experience, die eine Patina hat, eine Geschichte, eine Erfahrung.
Und das ist selten geworden.
Welche Patina die Sigma BF entwickeln wird? Ich hoffe sehr, dass es viele Fotograf:innen geben wird, die genau dies herausfinden. Die Kamera in jeden Tropensturm und Urwald mitnehmen und mit unvergesslichen Erfahrungen und einer schönen Patina zurückkehren.
Und falls sie doch nur in der Vitrine steht? Dann gibt es immer noch die Patina Effekt Creme. Perfekt.
Florian ist nicht nur einer der Agenturinhaber von made in, sondern auch leidenschaftlicher Fotograf.